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Heute war ich das erste Mal seit der Wiedereröffnung der Läden in der Stuttgarter Innenstadt unterwegs. Ich weiß ja nicht, ob das von Anfang an so aussah, oder ob es seit Beschluss der weiteren Lockerungen am Mittwoch schlimmer geworden ist. So oder so: ich war ein bisschen entsetzt darüber, wie viele Leute offensichtlich binnen kürzester Zeit vergessen haben, unter welchen Bedingungen die Lockerungen beschlossen wurden: Abstand zu den Mitmenschen halten ist Pflicht. Aber offenbar juckt das die wenigsten Leute, die heute in der Stadt unterwegs waren. Zugegeben, ich hab es ja schon befürchtet und hätte ich nicht Zubehör aus dem Nähladen gebraucht, wäre ich mit Sicherheit nicht an einem Samstag los in Richtung Königsstraße marschiert. Dass es wie an einem stinknormalen Samstagmittag aussehen würde, vielleicht mit Ausnahme der Masken in vielen Gesichtern und der Schlangen vor den Läden, hatte ich vorher allerdings doch nicht erwartet.

Ganz erlich, ich bin ja auch froh darüber, dass wieder mehr Läden offen haben. Ich finds auch super, dass dadurch viele Menschen wieder zur Arbeit gehen können und hoffentlich nicht mehr um ihre Jobs bangen müssen. Und ich halte es auch für absolut richtig, nicht ewig an den strikten Maßnahmen festzuhalten. Wir werden immerhin mindestens noch einige Monate lang, möglicherweise die nächsten ein oder zwei Jahre mit Corona leben müssen. Und das hält weder die Wirtschaft, noch die menschliche Psyche auf Dauer mit den harten Einschränkungen durch, die wir in den letzten Wochen hatten. Wir müssen also irgendwie zu einer neuen Art der Normalität finden. Aber, das ist das Schlüsselwort: eine neue Art der Normalität. Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass in ein paar Wochen wieder alles ist, wie es Anfang des Jahres war. Und je früher wir uns damit arrangieren, desto besser für alle. Aber das scheinen manche Leute nicht zu kapieren, oder es nicht kapieren zu wollen.

Ich verstehe nicht, wieso es Leute plötzlich wieder okay finden, sich mit exakt null Abstand und ohne Maske auf der Straße an anderen Leuten vorbei zu quetschen. Und noch weniger, was in den Köpfen von Menschen vor sich geht, die sich jetzt zu Tausenden bei Demonstrationen versammeln, um gegen Auflagen wie Versammlungsverbot oder Maskenpflicht zu protestieren. Klar sind die Infektionszahlen jetzt deutlich niedriger, als sie es beispielsweise Ende März waren. Aber: warum ist das denn so, hm? Genau – weil man durch die Maßnahmen der letzten Wochen mühsam dafür gesorgt hat. Und deshalb sind die Leute jetzt der Meinung, dass die Gefahr vorüber ist? Das Virus ist doch nicht verschwunden! Es gibt weder einen Impfstoff, noch eine zielgerichtete Therapie gegen Covid-19. Und so lange das so ist, können wir jederzeit wieder mitten in einem Infektionsgeschehen wie im März landen. In Südkorea wurden grade jede Menge Bars und Discos wieder geschlossen, weil ein einziger (!) unerkannt infizierter Besucher innerhalb einer Nacht in drei Lokalen eine zweistellige Anzahl anderer Gäste angesteckt hat. Korea ist aber so weit weg und bei uns läuft doch alles besser (Fun Fact: Südkorea hat mit Abstand das beste Corona-Management weltweit an den Tag gelegt)? Nun ja, das RKI hat heute frisch bekannt gegeben, dass die Reproduktionszahl in Deutschland wieder über 1 liegt. Aber das hängt sicher nicht damit zusammen, dass in den letzten Wochen Bestimmungen gelockert wurden. Lieber hören wir auf die Demonstranten, lockern wir noch mehr Auflagen und verzichten vor allem auf Masken.

Freiheit schön und gut, ich vermisse sie auch wahnsinnig. Aber mal ganz ehrlich: ist es nicht weitaus besser, beim Shoppen eine Maske zu tragen, als zuhause zu sitzen und überhaupt nicht shoppen gehen zu dürfen, weil wir in einem neuen Lockdown landen? Aber gut, muss jeder selbst wissen, was er davon hält. Doof nur, dass wir schlussendlich alle im selben Boot sitzen und das Handeln jedes Einzelnen das Leben aller anderen in unserem Land beeinflusst. Ich bin einfach mal sehr gespannt, wann wir das kleine Stück Normalität, das wir inzwischen wieder genießen dürfen, wieder hergeben müssen. Bis es soweit ist, nutze ich die kleinen Freiheiten definitiv aus – aber garantiert nicht mehr an einem Samstagmittag. Der Bonus am Home Office: freie Arbeitszeiteinteilung. Der nächste Ausflug in die Stadt passiert auf jeden Fall unter der Woche. Morgens um 10 oder so.

Um auch noch was schöneres von mir zu geben, als mein Gemecker über andere Menschen: ich hab mal wieder meine Nail-Art-Sachen ausgepackt und meine Fingernägel ein bisschen bemalt. Das schöne ist ja, dass man damit mal locker eine Stunde beschäftigt ist und sich konzentrieren muss – richtig entspannend 🙂

nika